Konditionierte Erregung – Wenn die Erwartung zum Problem wird
Kennst du das? Du greifst nur zur Leine und dein Hund dreht völlig durch? Zahlreiche Hundehalter erleben täglich dasselbe Phänomen: Der Hund „explodiert“ bereits, bevor überhaupt etwas passiert ist. Jacke anziehen, Blinker zum Einparken setzen, Türklingel… schon geht’s los.
Viele denken: „Mein Hund freut sich halt so sehr!“ Andere schimpfen und versuchen, die Aufregung zu unterbinden. Beide liegen falsch. Denn hier läuft ein völlig anderer Mechanismus ab
Was passiert im Hundekopf?
Konditionierte Erregung entsteht durch einen simplen Lernprozess.
Dein Hund hat gelernt: Jacke = Spaziergang. Blinker = Supergassi im Park. Klingel = Besuch kommt.
Aber – und das ist der Knackpunkt – die Erregung startet nicht beim Spaziergang. Sie startet bereits beim Gedanken an den Spaziergang. Das Gehirn deines Hundes schüttet in dem Moment Stresshormone und Erregungsbotenstoffe aus, in dem es das Signal erkennt. Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin – das volle Programm. Als würde der aufregende Event bereits stattfinden.
Warum wird das aufgeregte Verhalten immer schlimmer?
Und hier kommt die Tücke: Die Erwartung wird ja erfüllt! Nach dem Einparken mit Blinker kommt tatsächlich der Spaziergang. Jedes einzelne Mal.
Konditionierte Erregung ist ein selbstverstärkender Kreislauf. Je öfter die Erwartung erfüllt wird, desto stärker wird die emotionale Reaktion. Je stärker die Reaktion, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt der Hund – auch negative Aufmerksamkeit ist immer noch Aufmerksamkeit.

Warum Schimpfen kontraproduktiv ist
Schimpfen während konditionierter Erregung ist, als würdest du jemanden dafür bestrafen, dass er Schmetterlinge im Bauch hat.
Die Erregung ist keine bewusste Entscheidung. Dein Hund kann in dem Moment gar nicht anders.
Bestrafung macht es schlimmer:
- Sie überlagert die positive Assoziation mit Stress
- Aufmerksamkeit verstärkt Verhalten (auch negative)
- Die Erwartung wird trotzdem erfüllt
Das Perfide: Auch Ignorieren hilft nicht. Der Spaziergang kommt ja trotzdem.
„Aber wenn ich die Erwartung nicht erfülle, wird es trotzdem schlimmer“
Wenn Du zum Beispiel das Einparken unterbrichst und wieder nach Hause fährst, hat Dein Hund daraus nicht gelernt, dass Winseln und Bellen im Auto das Gegenteil bewirkt. Unsere Fellnasen lernen durch Wiederholungen, nicht durch Einsicht. Du müsstest hunderte Male einparken und wieder wegfahren. Das ist unpraktikabel.
Außerdem: Ein unausgelasteter Hund reagiert noch extremer auf Ankündigungen.
Das Schlimmste: Meist wird inkonsistent gehandelt. Mal gibt’s den Spaziergang, mal nicht. Diese zufällige Belohnung verstärkt das unerwünschte Verhalten noch mehr. Das macht die Therapie so schwierig und führt bei vielen Hundetrainern leider dazu, dass sie mit aversiven, strafenden Methoden dagegen arbeiten, die zu weiteren Verhaltensproblemen führt.
„Aber er macht es doch absichtlich!“
Nein, macht er nicht. Konditionierte Erregung läuft unterhalb der bewussten Kontrolle ab. Der Hund kann in dem Moment gar nicht anders. Sein Nervensystem ist bereits in Alarmbereitschaft. Die Impulskontrolle ist heruntergefahren. Die emotionalen Zentren haben das Kommando übernommen.

Der Online Workshop mit vielen Videos und Modulen über Hyperreaktivität zeigt einen vielfältigen Lösungsansatz, der Dir hilft, Deinen Hund zu verstehen und Entspannung in Euer Leben zu bringen.
Der Teufelskreis
Je öfter dieser Prozess abläuft, desto stärker werden die neuronalen Verbindungen. Das Gehirn wird immer effizienter darin, die Erregung zu produzieren. Irgendwann reichen schon kleinste Signale: Ein bestimmter Blick, eine veränderte Körperhaltung, eine bestimmte Tageszeit.
Der Hund wird zum Experten darin, Ankündigungen zu erkennen. Und reagiert entsprechend.
Die Lösung liegt in der Prävention
Hunde, die zu konditionierter Erregung neigen, sind wahre Genies. Sie verknüpfen nicht nur einmal, sondern ständig. Permanent.
Während du noch überlegst, hat dein Hund bereits drei neue Signale mit Aufregung verknüpft. Die Art, wie du deine Schuhe anziehst. Der Griff zur Türklinke. Dein veränderter Gesichtsausdruck, wenn du an Spaziergang denkst. Deshalb: Erkenne rechtzeitig, was du „aus Versehen“ trainierst. Und steuere sofort dagegen.
Verknüpfungen lösen – die Theorie
Theoretisch könntest du die Verknüpfungen auflösen. Beispielsweise Jacke anziehen und sich wieder hinsetzen, Einparken und wieder weiterfahren. Nur – im Alltag funktioniert das nicht. Du musst spazieren gehen. Du musst irgendwann aus dem Auto aussteigen.
Die Verknüpfung komplett zu löschen ist unrealistisch. Zu aufwendig. Zu stressig für alle Beteiligten.
Der bessere Weg: Alternativverhalten etablieren
Viel effektiver: Trainiere ein Alternativverhalten, das dein Hund richtig gerne ausführt.
Statt „Jacke = an Frauchen hochspringen“ wird es „Jacke = auf Decke gehen = Jackpot.“ Das neue Verhalten muss sich für den Hund richtig lohnen. Besser als die alte Aufregung.
Die neue Verknüpfung
Das Geniale: Du verbindest das belohnende Ergebnis mit der neuen Handlung. Der Spaziergang kommt nicht nach dem Durchdrehen, sondern nach dem ruhigen Sitzen.
Hier ist Geduld ist gefragt: Dieses Training dauert länger als das Lösen von Verknüpfungen. Aber es ist alltagstauglich. Und nachhaltiger. Der Hund lernt nicht nur, eine Reaktion zu unterdrücken. Er lernt eine bessere Alternative.
Hyperreaktive Hunde können Besitzer in echte emotionale Konflikte bringen. Sie lieben ihren Hund wirklich, aber das Zusammenleben kann so anstrengend sein, dass man immer mal wieder an seinen eigenen Fähigkeiten als HundhalterIn zweifelt. Wenn endlich Entspannung einkehrt, ist beiden Seiten sehr geholfen.
Dr. Astrid Schubert SIRIUS Behavior Vets
Konditionierte Erregung oder echte Hyperreaktivität?
Viele Besitzer können nicht unterscheiden: Ist mein Hund „nur“ konditioniert erregt oder wirklich hyperreaktiv?
Die Grenzen sind fließend. Beide Probleme sehen ähnlich aus: Aufgedrehtes Verhalten, schwere Steuerbarkeit, Überreaktionen.
Konditionierte Erregung entsteht oft durch einen Ping-Pong-Effekt zwischen Halter und Hund. Der Hund wird aufgeregt, der Besitzer reagiert darauf, der Hund wird noch aufgeregter. So schaukelt sich das System hoch.
Aber es gibt auch Hunde, die schon als Welpen auffällig sind. Sie schlafen wenig, sind ständig in Bewegung, reagieren „hyper“ auf kleinste Reize. Hier liegt meist eine echte neurologische Hyperreaktivität vor.
Wo liegt der Unterschied?
Der konditioniert erregte Hund kann zur Ruhe kommen — wenn die Trigger wegfallen. Der hyperreaktive Hund ist grundsätzlich übererregt, auch ohne äußere Auslöser.
Diese Unterscheidung ist entscheidend für die Therapie. Konditionierte Erregung löst man durch Umkonditionierung. Hyperreaktivität braucht oft medikamentöse Unterstützung.
Eine ausführliche verhaltensmedizinische Anamnese durch einen Fachtierarzt für Verhaltenstherapie klärt, was vorliegt. Erste diagnostische Übungen zeigen: Ist der Hund entspannungsfähig oder neurologisch übererregt?
Erst die richtige Diagnose ermöglicht die passende Therapie.
Nicht nur der Hund leidet unter dem Stress, häufig auch der Besitzer. Wir helfen, die Lösungen zu finden.
Fazit:
Konditionierte Erregung ist kein Ungehorsam. Es ist Neurobiologie.
Dein Hund hat nicht entschieden, dich zu ärgern. Er reagiert auf erlernte Signale mit einer automatischen emotionalen Antwort.
Die Lösung: Cleveres Management statt Bestrafung.
Ein entspannter Hund entsteht durch geduldiges Umlernen der emotionalen Verknüpfungen. Das braucht Zeit. Aber es funktioniert.